Mittwoch, 26. Februar 2014

Deal ist Deal

Julias Herz raste. Die Arme vor der Brust verschränkt, ging sie in ihrem Zimmer rasch auf und ab. Ein Blick auf die Uhr: Noch 5 Minuten. Dann würde Nadine anrufen und wissen wollen, wie sie sich entschieden hat.
Verdammt, das konnte doch alles nicht wahr sein! Wenn sie nur die Zeit zurückdrehen und alles ungeschehen machen könnte! Schließlich hätte sie es überhaupt nicht nötig gehabt, heute Mittag im Kaufhaus diesen blöden Lippenstift zu klauen.
Aber sie hatte es getan, und Nadine hatte sie gesehen. Schlimmer noch: Sie hatte sie heimlich mit ihrer Handykamera gefilmt – und gegen eine solche Beweislast half keine Ausrede.
Der unrühmliche Zickenkrieg, der seit Wochen zwischen beiden tobte, steuerte nun unaufhaltsam auf seinen ebenso überraschenden wie dramatischen Höhepunkt zu.
Denn nur wenige Stunden später fing Nadine die Diebin auf dem Heimweg vom Nachmittagsunterricht ab. “Na, meine Süße. Schau mal, was ich hier habe.” Mit einem diabolischen Lächeln führte sie der geschockten Julia ihr Beweisstück vor Augen.
“Ich denke, wir zwei haben ohnehin noch ein Hühnchen zu rupfen…” Kumpelhaft legte sie ihren linken Arm um Julias Schulter. Und dann unterbreitete sie ihr einen Vorschlag, der Julia so beschämend erschien, dass es ihr den Atem verschlug.
18:00 Uhr. Das Handy klingelte auf die Sekunde genau. “Hallooo… Juliaaa… Wie sieht’s aus? Machst Du’s? Oder soll ich gleich mal Deine Ellies auf den neuesten Stand bringen?”
Julia schloss die Augen und seufzte: “Ich mach’s. Aber bei uns geht es nicht, meine Mutter ist den ganzen Tag zu Hause.”
“Keine Sorge, Schätzchen. Ich habe am Samstag sturmfreie Bude. 14 Uhr. Und Julia: Streich’ besser Deine übrigen Termine für diesen Tag; ich fürchte es wird etwas länger dauern.” Nadine lachte. “Bis übermorgen dann!”
Julia konnte im Folgenden an nichts anderes mehr denken. Immer wieder musste sie sich mit Schrecken das Bevorstehende ausmalen. Aber hatte sie denn eine andere Wahl? “Nein, nein, nein!” Ihre Eltern durften es einfach nicht erfahren.
Ein Diebstahl! Oh, Gott, das war so ziemlich das Schlimmste, was sie anstellen konnte. Ohne Zweifel würde sich Papa der Sache annehmen, und das konnte nur eins bedeuten: eine Tracht Prügel mit dem Rohrstock, dass ihr Hören und Sehen vergehen würden.
Julia war zwar bereits 18, aber… “solange Du Deine Füße unter meinem Tisch hast…!” Sie verstehen?
Mehr noch als die höllischen Schmerzen, fürchtete Julia, dass man von nun an ein noch strengeres Auge auf sie haben würde. Sie wäre auf ewig vorbelastet. Nadines Plan hingegen war zwar furchtbar und demütigend – aber alles wäre am Ende des Tages ausgestanden.
Samstag, 14 Uhr. Ein unsicher dreinblickendes, leicht molliges Mädchen klingelt an der Haustür der Schertelstr. 7a. “Ach, die kleine Nadine bekommt Besuch von einer Schulfreundin. Ist aber auch ein wirklich nettes Mädchen. Und immer so höflich und hilfsbereit.”
14:15 Uhr. Still und friedlich ruht das Haus in der Nachmittagssonne. Eine schwarze Perserkatze streift durch die Gärten, springt auf den Balkon des Elternhauses. Neugierig schlüpft sie durch die einen Spalt weit geöffnete Tür in das Wohnzimmer.
Wie gebannt bleibt das Kätzchen mitten im Lauf stehen und mustert mit flinken Augen dieses seltsame Schauspiel. Sieht, wie das mollige Mädchen sich über die Sofalehne beugt und sich das Höschen vom runden Popo streift. Sieht, wie Nadine, voller Genugtuung grinsend, nach einem Ledergürtel greift, der auf dem Wohnzimmertisch bereit liegt.
Ein Hieb – so grausam ziehend, dass Julia vor Schmerz laut aufschreit. Die Katze maunzt und flüchtet auf den Balkon; bleibt wieder stehen und wendet den Kopf mit schreckgeweiteten Augen; spitzt die Ohren, als von Drinnen ein verzweifeltes Jammern und Betteln anschwillt.
15:00 Uhr. Nadine öffnet die Balkontür weit und tritt hinaus. “Du bist aber eine süße Mieze! Komm, ich nehm’ Dich mal auf den Arm.” Sie streichelt das schnurrende Kätzchen und geht mit ihr wieder ins Wohnzimmer. “Sieh mal hier: Wen haben wir denn da? Die böse Julia! Die böse, böse, böse Julia.”
Julia, die mit blankem Po in der Ecke stand, schluchzte: “Bitte, Nadine… Hör doch auf… Guck Dir doch meinen Hintern an! Ich kann die nächsten Tage bestimmt kaum sitzen! Bitteee!”
Aber Nadine dachte gar nicht daran aufzuhören. Sie hatte sich da ein hübsches Täubchen gefangen – und würde es nun für all das büßen lassen, was Julia ihr in den letzten Wochen an Gemeinheiten an den Kopf geworfen hatte.
“Böse, böse, böse!” Mit ihrem Gesicht liebkoste sie das Antlitz der Katze. “Deshalb muss Julia heute was auf den Popo bekommen!” Neckisch, wie Nadine zumute war, sprach sie das Wort wie “Poppo” aus.
15:30 Uhr. “So, das war ein langes Päuschen! Komm, mein Schatz! Popoklatschen!” Nadine zog Julia mit sich zum Sofa und brachte sie dazu, sich über ihre Knie zu legen.
“Runde zwei. – Viel Spaß dabei!”
Man ahnt ja nicht, wie viel Kraft in so einem Mädchenarm steckt, sofern nur die Motivation stimmt; und welche Wirkung derartige Schläge auf einem ohnehin schon wund geprügelten Hintern entfalten können.
15:45 Uhr. “Sodele. Das sollte reichen.” Julia erhob sich heulend: “Du erzählst aber wirklich nichts meinen Eltern!?”
“Aber nein, warum sollte ich? Deal ist Deal! Und ein so tapferes Mädchen wie Dich werde ich doch bestimmt nicht über den Tisch ziehen wollen!”
Julia schien mit dieser Antwort zufrieden zu sein. “Gut.”, konstatierte sie mit gepresster Stimme und begann, sich wieder die Hosen hochzuziehen.
“Hey! Was soll denn das?” Mit sichtlichem Amüsement spielte Nadine die Empörte.
“Wir sind doch fertig?!” Doch dass Julia vor Staunen vergaß, ihren Mund wieder zu schließen, zeigte, dass sie die Wahrheit sehr wohl kannte.
“Aber nein, Madame! Dies sag ich Dir: Der Runden sind bei uns stets vier!”
Ein langgezogener, unartikulierter Schrei des Jammers jagte die Mieze endgültig aus dem Haus. Das war zuviel für eine Katzenseele! Mit einem Satz war sie vom Balkon gesprungen und huschte wieder durch die Nachbargärten.
Und was soll ich sagen: Noch am selben Tag fing sie sich ein Täubchen, so zart und schmackhaft, dass noch ihre Kindeskinder dereinst ein Lied davon singen sollten.



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