Samstag, 3. September 2011

Szenen einer Ehe

Es war das erste Mal. Niemals zuvor hatte sie Schläge bekommen. Niemals zuvor hatte jemand sie übers Knie gelegt und ihr den nackten Po versohlt, ihren Hintern in Flammen gesetzt. Und der Tag danach ist ein besonderer Tag.

Sandra wacht auf, blinzelt und dreht sich auf die andere Seite, noch in Traumresten gefangen. Die Sonne, die durch die Jalousien fällt, wirft ein filigranes Streifenmuster auf die Bettdecke. Sie hört seine regelmäßigen Atemzüge und dämmert in wattigem Halbschlaf vor sich hin, versucht, die Traumbilder zu greifen - und ist plötzlich hellwach! Die Abdrücke seiner Hand auf ihrem geröteten Hintern - das war kein Traum! Das war Realität! Sie betastet ihren Po, fühlt die Existenz und Präsenz dieses Körperteils viel deutlicher als jemals zuvor.

Eine Woge widersprüchlicher Gefühle überrollt sie. Alles ist neu. Alles ist anders. Beklommen schaut sie zu ihm herüber. Sein Brustkorb hebt und senkt sich ruhig und regelmäßig. Sein gebräuntes Gesicht ist entspannt, die Lider flattern leicht - er träumt noch im Tiefschlaf. Darius. Ihr Mann. Der Mann, den sie vor drei Jahren geheiratet hat. Der Mann, dem es gelungen ist, ihr Herz im Sturm zu erobern. Der Mann, der selbst ihre egozentrische, argwöhnische Mutter um den Finger wickeln kann. Der Mann, der sie gestern Abend übers Knie gelegt hat. Der ihr so vertraut ist und so fremd zugleich.

Normalerweise würde sie sich jetzt auf die andere Seite drehen, ihre Hand auf seine Brust legen und den Kopf in seine Armbeuge, bis der Wecker klingelt. Dann würde er aufstehen und die Kaffeemaschine einschalten, bevor er unter die Dusche steigt. Doch dieser Morgen ist nicht wie jeder Morgen. Dieser Morgen ist der Morgen danach. Die Alltagsroutine ist ausgehebelt. Sie hat keine Ahnung, was sie tun soll. Ist er immer noch böse auf sie? Wird er sie wieder schlagen? Hat er womöglich die Nässe zwischen ihren Beinen gesehen, als er ihren nackten Hintern in so exponierter Position vor sich hatte? Beim bloßen Gedanken daran windet sie sich. Wird er sie überhaupt noch respektieren können nach ihrer Demütigung und Unterwerfung? Ihr Orgasmus gestern Abend, als ihr Hinterteil noch glühte, war gigantisch.

Sie sieht sich über seinem Knie liegen, weinend und flehend, sieht sich mit schmerzendem Po zur Arbeit gehen und später wieder über seinem Knie, kann an nichts anderes mehr denken. Erregung steigt in ihr auf. Ist es das, was sie will? Ihr Herz klopft. Ihr Atem beschleunigt sich. Er dreht sich auf die Seite, die Bettdecke rutscht weg und gibt den Blick auf seine breiten Schultern frei. Sie sucht seine Nähe, kuschelt sie sich an ihn, Haut an Haut, den Bauch an seinem Rücken. So bleiben. Einfach so. Nichts denken. Nichts fürchten. Nichts sagen. Am besten für immer.

»Darius?« flüstert sie.

Hmmm?« brummt er schlaftrunken.

»Bist du wach?«

»Mmmmh - so halb«, murmelt er.

Ich... also... es tut mir so leid, wegen gestern... Nein, nicht wegen gestern... oder doch, also ich meine, wegen der vielen Tickets. Bist du... bist du... noch böse mit mir? Ich meine nur, weil... ähm...«

Sie stammelt irgendwelchen Unsinn und könnte sich selbst dafür ohrfeigen.

Er dreht sich zu ihr um und nimmt sie in die Arme, schlingt seine Beine um die ihren.

»Heh... Kleines.« sagt er leise. »Es ist alles gut. Nein, ich bin nicht mehr böse auf dich.«

Eng umschlungen liegen sie da und Sandra wird ganz leicht ums Herz. Sie ist endlich zu Hause.

Der Wecker rasselt, und er schwingt sich mit einem Ruck aus dem Bett.

»Was für ein wunderbarer Morgen.« sagt er. »Die Sonne scheint, der Himmel ist blau. Und heute Abend ist diese Party bei Kent. Du kommst doch mit, oder?«

Sandra nickt.

»Ja klar, ich hab ja schon zugesagt.«

»Gut.« sagt er. »Nimm dir was Warmes zum Anziehen mit, er feiert draußen und am Abend ist es noch verflixt kalt.«

»Ich hab immer was Warmes dabei.« versetzt sie und knufft ihn leicht in die Seite.

»Bei der letzten Gartenparty hast du dich tierisch erkältet!«

»Stimmt,« lacht er »aber das passiert mir nicht noch mal! Ich mach jetzt mal Kaffee - heute ist große Wochenkonferenz in der Kanzlei, ich muß ein bisschen eher los. Und am Nachmittag muß ich ins Gericht, dieser Sorgerechtsfall, Spencer gegen Spencer, du weißt schon.«

Sie schaut ihm hinterher und ein jubelndes Glücksgefühl steigt in ihr auf.

Als er geht, verabschiedet er sich mit einem langen tiefen Kuss.

»Bis heut Abend, wir treffen uns direkt bei Kent.«

Sie winkt ihm lange hinterher. Auch, als das Auto nicht mehr zu sehen ist, steht sie noch in der Tür. Lächelnd. Zufrieden. Froh.

Zurück im Haus, betrachtet sie sich im Spiegel und wirft sich eine Kusshand zu. Sie fühlt sich großartig. Das Leben ist schön. Und ungeheuer aufregend. Der kleinste Gedanke an gestern fährt wie ein prickelnder Blitz durch ihren Körper. Ein lustvolles Sehnen kehrt ihr Innerstes nach außen. Der Tag hat einen besonderen Glanz, und das liegt nicht am schönen Wetter. Es ist, also habe sich eine Tür in eine neue Dimension geöffnet.

Doch viel Zeit für Träumereien bleibt ihr nicht. Sie muß sich sputen, um noch rechtzeitig ins Büro zu kommen. Zumal Andrew Fawcett, der Chef der Werbeagentur »Fawcett & Majors«, seit Tagen vor Nervosität bebt. Der Auftrag der Rayovac, die kürzlich Tetra aufgekauft hat, um weltweit die Nummer Eins in der Branche für Kleintier-Futter zu werden, liegt ihm schwer im Magen.

Sandra legt einen Hauch von Lippenstift auf. Alles andere ist überflüssig. Ihre Augen strahlen, die Wangen sind rosig. Auf dem Weg ins Büro summt sie leise vor sich hin. Diesmal hat sie genug Zeit, ins Parkhaus zu fahren.

Sie ist kaum am Empfang vorbei, als ein hysterischer Andrew auf sie zurast.

»Sandra, eine KATASTROPHE!!!« deklamiert er theatralisch.

Sie kennt diese Auftritte zur Genüge und wartet erst mal ab.

»Wir sind geliefert. Der Auftrag geht uns durch die Lappen!!!«

»Welcher Auftrag?« fragt sie. »Und wieso?«

»Smith hat einen Slogan geliefert und Rayovac hat ihn --- ABGELEHNT!«

Sie hasst es, schon am Eingang so überfallen zu werden, aber Andrew ist nun mal der Chef. Er lotst sie in den leeren Konferenzraum und breitet sämtliche Unterlagen vor ihr aus. Sie sieht ein putziges Meerschweinchen, das Männchen macht, darüber in großen Lettern: »Nur so bleibt dein Haustier fit - mit Granokorn von Tetra-Vit« und kann ein Grinsen nicht unterdrücken. Bieder. Langweilig.

»Aber sie konnten doch noch gar nicht ablehnen«, sagt sie betont ruhig. »Die Präsentation ist erst heute Abend.« Andrew ringt die Hände.

»Jaja, sicher. Aber der Präsident hat die Unterlagen gestern bekommen und eben hat er angerufen... Er will was anderes sehen, sonst lehnt Rayovac ab!!! Eine Katastrophe! Wir brauchen diesen Auftrag!«

Er verdreht theatralisch die Augen.

»Okay«, sagt sie und strafft die Schultern. »Sag der Grafik-Abteilung, daß sie auf Abruf bereitstehen sollen und wir präsentieren am Nachmittag zwei weitere Slogans.«

Andrew atmet hörbar aus. »Selbstverständlich, alles, was du willst - aber MACH WAS! Bitte!«

Sandra kaut an ihrem Bleistift, Auge in Auge mit dem Meerschweinchen... Sie ist in ihrem Element. Okay... Zwei weitere Vorschläge. Bild plus Slogan. Etwas Unverfängliches erst mal... die Leute wetten gern... Pferderennen sind hoch im Kurs... Sie sieht vor ihrem inneren Auge Meerschweinchen auf dem Rennparcours... Eins lässt die anderen weit hinter sich zurück... Trikots mit Nummern drauf...

»Die Nase vorn mit Granokorn...« auch ziemlich bescheuert, aber zumindest nicht so bieder wie Männchenmachen.
Sie greift zum Telefon und erklärt Gabi aus der Grafik, was sie will...

Aber das reicht noch nicht. Also noch mal von vorn, und ganz anders. Menschen lieben ihre Haustiere. Ein bisschen Gefühl, ein bisschen Frivolität, Sex... Sie sieht eine attraktive Frau vor sich, bäuchlings hingestreckt auf einem Sofa, mit weichen Rundungen, scharf gestellt das schöne Gesicht mit leicht gespitzten Lippen... Dann das Meerschweinchen... Liebe geht durch den Magen... Granokorn. Vielleicht zu provokant, aber bildlich geschickt umgesetzt, könnte es klappen! Und sie greift wieder zum Telefon.

»Wo sollen wir denn auf die Schnelle so ein Model hernehmen?« keift Gabi ihr entgegen, als sie geendet hat.
»Neinneinnein!« sagt Sandra. »Kein Model, das funktioniert nur als Zeichnung, leicht ironisch, comic-strip-artig, modern-style... Ein bisschen überspitzt. Holt euch Werner, der kann das.«

Als sie Andrew die neuen Entwürfe auf den Schreibtisch knallt, strahlt er übers ganze Gesicht.

»Wunderbar, wunderbar«, stammelt er.

Normalerweise würde sie jetzt ein leises Danke hauchen. Aber danach ist ihr nicht.

»Warte erst mal ab!« empfiehlt sie kühl und wundert sich über ihre eigene Courage.

»Ich hab nicht mit dem Kunden verhandelt. Ich hab keine Ahnung, was er in Auftrag gegeben hat und was ihm vorschwebt. Und eins sag ich dir: Wenn wir den Zuschlag bekommen, dann will ich einen Sonderbonus. Ihr habt schließlich wochenlang Zeit gehabt, ich bloß ein paar Stunden. Und das nächste Mal will ich den Auftrag sofort und nicht erst als Lückenbüßer.«
Andrew schaut sie irritiert an.

»Ja, ja, sollst du haben.« nickt er dann beflissen und Sandra rauscht mit einem »Ich nehm dich beim Wort. Und viel Glück!« ab, in Gedanken schon ganz woanders.

Sie klingelt an Kents Tür. Kents Frau Barbara öffnet.

»Hi Sandra, schön, daß du da bist!«

»Hi, wie geht´s dir?«

Der übliche Kuss auf die Wange.

»Komm rein. Darius ist auch gerade gekommen. Er ist bei Kent am Grill...«

Doch Darius ist längst an der Tür, direkt hinter Barbara. Als hätte er geahnt, daß es Sandra ist, die gerade geklingelt hat. Barbara tritt einen Schritt zurück, um Sandra einzulassen.

»Also, Meg hat leider abgesagt, aber dafür kommen Roslyn und Dean...« plaudert Barbara und verstummt dann verwirrt.
Sandra geht auf Darius zu. Er umfasst ihr Gesicht und küsst sie innig. Sie erwidert den Kuss. Eng umschlungen gehen sie in den Garten, gefolgt von Barbara.

»Was ist denn mit euch los?« fragt sie Sandra später.

Doch Sandra lächelt nur.

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